Desperate Wortspielhölle in der Heiliggeistkirche

Sprache bis an ihre Grenzen

 

Zum Gedenktag der "Reichsprogromnacht" am 9. November um 20.00 Uhr veranstaltet "ABATON" mit einer Mannheimer Jugendgruppe in der Heiliggeistkirche das Sprechstück "Deutsches Gedicht" nach Ernst Jandl. Er schrieb das Stück in den 60er Jahren und bearbeitete es in den 80ern. Die Heidelberger Rundschau hat sich die (im durchaus positiven Sinn professionelle) Produktion des Pfadfinderbundes Mannheim vorab angesehen.

 

Die Gruppe beißt sich die Sätze dieser Sprech-Collage, die sich mit dem "Dritten Reich" und dem Faschismus auseinandersetzt, zurecht, im nicht an ihnen zu ersticken, presst Sprache bis an ihre Grenzen: zum Schluchzen und zum Rezitativ; zum Schrei und zum (Sprech)-gesang. Jandls Konjunktiv macht trauriges Lachen über seelisches Elend möglich, die bereits Max Frisch aufzeigte. Dies - vom Theaterkreis der Mannheimer neu eingerichtete - Stück stellt nicht Leben als Bündel vorgestellter Wunschbiographien. Jandls und der jungen Gruppe Bearbeitung steht am Ende einer Entwicklung; da wird nichts eröffnet; hier werden stattdessen Zuhörer in die Verengung geführt. Illusion, die aus Jandls Wortschöpfungen so gänzlich vertrieben sind, kommt auf dem von der Gruppe betretenen Weg des denn doch Sichtbaren wieder hinein: Indem die jungen Akteure nicht nur sprechen sondern ihr Vorhandensein dagegen setzen, setzen sie gegen die laut-malerische Möglichkeit ihre optische Wirklichkeit. Mit der Sprache ließe sich hier - unter anderem - lernen, lebt man im Möglichen; mit dem Körper klebt man an der Wirklichkeit. Diese Produktion - Jandl hätte seine Freude dran - bietet eine desperate Wortspielhölle, die das "Deutsche Gedicht" dennoh und schon gar nicht in grammatikalischen Kuriositäten stecken bleiben lässt. Hingegen schlägt aus seiner extremen Künstlichkeit eine seelische Wirklichkeit, die sich unmittelbar auf den Zuschauer überträgt. Da wird zum 9. November in der Heiliggeistkirche ein ungewöhnlich anmutig-tod-trauriges, aufrüttelndes, gemütsbewegend-aggressives Unikat in dies Haus gestellt.

Peter Schumann spielt an der Orgel zum Anlass und zum Stück passende Literatur.