Mehr als nur die eigenen vier Wände


Andere haben ihre Burg. Haben ihre Hütte, ihr Stadtheim, ihr Schiff, ihre Erdkohte, ihren Hof oder was immer sonst noch das Bedürfnis Bündischer nach den eigenen vier Wänden befriedigen mag. Wir - der Pfadfinderbund Mannheim - wir haben unser Bundeshaus, also schätzungsweise an die achtzig Wände, einige davon tragend.

 

Das Bundeshaus im Oktober 2001
Das Bundeshaus im Oktober 2001 Foto: Ticat

Ein bisschen groß mag dieses Haus für unseren doch recht kleinen Bund ja sein. Aber das Bundeshaus ist nicht nur ein Heim für Gruppenstunden, für Ring- und Ordensräte, für Bundesabende und Wohnwochen. Hier sind nicht nur die Gewölbekellerräume für die Gruppen, ist nicht nur die Bundeswohnung für Hortenführer und Ältere, ist nicht nur unsere Kanzlei, die Werkstatt, das Fotolabor, der Materialraum; hier leben auch diverse Bundesmitglieder von Hortenführer(inne)n über "pensionierte" Ältere bis hin zum Bundesführer - in immer mal wieder wechselnder Besetzung. Und hier wohnen außerdem noch immer (und das macht die Sache erst recht spannend) einige "ganz normale" Mieter, die sich, als sie dereinst plötzlich in den Genuss des Zusammenlebens mit uns unter einem Dach kamen, unter "Pfadfindern" wohl nicht viel mehr vorstellen konnten als die üblichen Sprüche von "allzeit bereit" und von der "guten Tat". Zwischenzeitlich werden sie gemerkt haben, dass wir nicht nur gute Taten vollbringen. Umgekehrt haben wir mit den Jahren einigermaßen gelernt, dass es in einem solchen Mietshaus auch gewisse Regeln zu beachten gilt...
Letztlich aber profitieren wohl alle, die hier leben davon, dass im Bundeshaus manches etwas lockerer gesehen wird: Lautes nächtliches Singen im Keller wird durch nicht minder lautes frühmorgentliches Geschrei kleiner Kinder auf das Gerechteste ausgeglichen.

Das Bundeshaus Anfang 2000
Das Bundeshaus Anfang 2000 Foto: Médoc


Als das Mietshaus in G7,41 im Jahre 1985 von uns gekauft wurde, war es in einem äußerst miserablen Zustand. Inzwischen hat sich einiges getan und bleibt dennoch einiges zu tun - so viel wie möglich davon in Eigenarbeit. Im Mittelpunkt unseres Bundes stehen nach wie vor die Horten, steht die Fahrt. Dass unser Bundeszentrum nicht im Wald steht, sondern mitten in der Stadt, das ist kein Zufall: Der PBM ist ein Großstadtbund, und Mannheim eine Industriestadt mit Smog, Ozon, Verkehrschaos, Kriminalität und was sonst noch so dazugehört. Auf Fahrt versuchen wir den Mädchen und Jungen in unseren Horten zu vermitteln, dass es noch einen anderen Aspekt des Lebens gibt, dass neben Konsum und Medienentertainment auch eine Erfahrung der Grundbedürfnisse, eine Welt des direkten Erlebens und der Gemeinschaft möglich und notwendig ist. Dabei wollen wir nicht vor dem anderen Teil der Wirklichkeit flüchten, der allerdings zu oft für die Ganze gehalten und dann "Realität" genannt wird. Zur Lebensuntüchtigkeit, zur Nostalgie wollen wir nicht erziehen.

Vor der Renovierung
Vor der Renovierung Foto: Médoc

So wie die Fahrt für uns wichtig und unersetzlich ist, so wollen wir uns auch mit der Kultur und den Geschehnissen unserer Zeit auseinandersetzen - die Stadt, in der wir wohnen, besteht für uns nicht nur aus Schattenseiten. Sie ist der Lebensraum, in dem wir die meiste Zeit unseres Alltags verbringen und das in der Regel nicht einmal ungern.

So spiegelt das Bundeshaus, das eben ein Stadt- und kein Landhaus ist, auch in dieser Hinsicht unseren Bund wider: Hier werden Tippel vorbereitet, von hier aus wird zu Großfahrten aufgebrochen, hier werden Lieder von der Wildnis und der Einsamkeit gesungen, wird in den Gruppenstunden für kurze Zeit vom Alltag abgeschaltet. Aber: hier finden ebenso Bundesabende zu aktuellen, auch politischen Themen statt, werden moderne Stücke von Ernst Jandl geprobt, werden Hausaufgaben gemacht, und es wird Nachhilfe gegeben, werden in den Wohnungen der Bundesmitglieder fast ganz normale Leben geführt. So wie für diejenigen aktiven Bundesmitglieder, die hier im Haus wohnen, eine klare Trennung zwischen Bund und Privat nicht mehr möglich ist, so ist es unser Ziel, dass für uns alle Bund und Alltag nebeneinander bestehen, dass Fahrt und Leben, dass Anspruch und Wirklichkeit keine unerträgliche Diskrepanz bleiben.

 

G7,41 im Jahre 1946
Das Bundeshaus im Jahre 1946 Foto: Unbekannt

Erbaut wurde das Haus in den Jahren 1840 - 1844 vom Maurermeister Jakob Dietrich (1809 - 1891). Der Grundstein im Gruppenraum zeugt davon: Die Inschrift "ID.SK 1840" stehen für die Initialen von besagtem Herr Dietrich, sowie seiner Frau Susanna Kugler und dem Datum der Grundsteinlegung. Nach dem Tod der Familie gehörte das Haus einem Lederhändler, einem Pfandleiher, einem Fabrikarbeiter (der wohl irgendwie zu Geld gekommen sein muss), später einem Metzger und schließlich - uns.

Auch der Laden, in dem sich heute unsere Werkstatt befindet, hat eine wechselhafte Vergangenheit: Erst waren verschiedene Bäckereien darin untergebracht, von 1909 bis 1971 dann die Metzgerei Dalacker. Es folgten noch ein Versicherungsladen und ein Elektrogeschäft, dann kamen wir. Mehr war in den Unterlagen im Stadtarchiv nicht zu entnehmen, lediglich ein einziges Foto von kurz nach dem Krieg wurde noch gefunden.

 

 

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